Wirbel um Vorlage «Goldene Fallschirme»
Abstimmung Abfindungen von Stadträten und Behördenmitgliedern sind das Thema. Es ist kompliziert. Die SVP erhebt Vorwürfe.
Manchmal ist Politik wie ein Ikea-Möbel: Im Laden wirkt es simpel, zu Hause öffnet man die Verpackung, studiert die Anleitung und wischt sich den kalten Schweiss von der Stirn. So ein Möbel ist die Abstimmung über die «goldenen Fallschirme» für Stadtzürcher Behördenmitglieder am 3. März. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben zwei Optionen: die SVP-Initiative und den Gegenvorschlag.
Im Kern unterscheiden sich die beiden Vorlagen in zwei Punkten: Erstens will die Volksinitiative, dass nur abgewählte Regierungsmitglieder eine Abgangsentschädigung erhalten. Zweitens soll diese maximal einen Jahreslohn betragen.
Der Gegenvorschlag will, dass es auch bei freiwilligen Rücktritten eine Abgangsentschädigung gibt. Er will die Höhe beim heutigen Status quo belassen: maximal 1,8 Jahresgehälter bei einer Abwahl und maximal 1,5 Jahresgehälter bei einem freiwilligen Rücktritt. Der Gegenvorschlag will, dass Abgangsentschädigungen nur noch für Mitglieder des Stadtrats vorgesehen sind. Zurzeit gelten diese Regeln auch für andere gewählte Behördenmitglieder, wie zum Beispiel Stadtamtsfrauen, Friedensrichter oder Kreisschulpräsidentinnen.
Auf den ersten Blick hat man quasi die Wahl zwischen einer Kommode mit vier und einer mit fünf Schubladen. Aber: So einfach ist es nicht. Dafür wird es emotionaler.
Die offizielle Abstimmungszeitung, die Packungsbeilage zur Vorlage, sei «ausserordentlich missverständlich formuliert» und nur «bedingt transparent», sagt SVP-Gemeinderat Martin Götzl. Mehrfach sei die Rede davon, dass die Abgangsentschädigungen nur auf den Stadtrat beschränkt würden. Das Volk werde «für dumm verkauft», sagt er und spricht von «demokratieunwürdigem» und «skandalösem» Verhalten der anderen Parteien.
Tatsache aber sei, sagt Götzl, dass mit dem Gegenvorschlag auch andere Behördenmitglieder Entschädigungen erhielten.
Wie ist das möglich? In der Abstimmungszeitung findet man am Schluss etwas kompliziert formulierte Abschnitte. Darin enthalten ist der Hinweis: Entschädigungen für die anderen Behördenmitglieder würden in einer anderen Verordnung geregelt werden, «soweit dies der Gemeinderat als nötig erachtet».
Dass der Gemeinderat es als nötig erachtet, war schon sehr wahrscheinlich, als die Abstimmungszeitung in den Druck ging, jetzt ist es beinahe gesichert. Die Zeitung liegt noch nicht mal im Briefkasten, und doch hat am vorletzten Donnerstag die zuständige Kommission bereits eine entsprechende Weisung zu Ende beraten. Konkret sollen gewählte Behördenmitglieder wie Friedensrichter oder Kreisschulpräsidentinnen maximal 1,25 Jahresgehälter bei einer Abwahl oder einer Nichtnomination als Entschädigung (Abfindung oder Lohnfortzahlung) erhalten. Sie werden damit städtischen Mitarbeitenden in ähnlichen Positionen gleichgestellt, denen gegen ihren Willen und trotz guter Arbeit gekündigt wird. Diese Behördenmitglieder verdienen zurzeit im Durchschnitt rund 189’000 Franken pro Jahr, wie es beim Finanzdepartement auf Anfrage heisst. Für diesen Vorschlag sind alle Parteien ausser die SVP.
Jüngst waren es gerade die Entschädigungen für Nichtstadträte, die empörten. 2021 wurde Roberto Rodriguez (SP) vom Kreisschulpräsidenten zum Schulleiter gewählt und kassierte, ohne einen Tag auf Jobsuche zu sein, eine Abgangsentschädigung von 687’131 Franken. Seit 2006 wurden 7,8 Millionen Franken Abgangsentschädigungen an 24 Personen ausgezahlt, deren acht waren Stadträte.
Entschädigungen in dieser Höhe wären nach dem Willen der gemeinderätlichen Kommission nicht mehr möglich. Die Kommission tat sich schwer mit dem Geschäft und der nahenden Abstimmung. Die GLP stellte einen Antrag zur Sistierung bis nach der Abstimmung, scheiterte aber damit.
Die SVP drängte darauf, das Geschäft schnell abzuschliessen, damit die Stimmenden informiert werden können, was der Gegenvorschlag zusätzlich beinhaltet. Martin Götzl kritisiert: «Die kontroversen Diskussionen in der Kommission zeigten offensichtlich, dass bei jenen Parteien, die stark in der Regierung eingebunden sind, null Interesse besteht, dem Stimmvolk zum intransparenten Gegenvorschlag reinen Wein einzuschenken.»
Vertreter der anderen Parteien wehren sich gegen diesen Vorwurf. «Die SVP sieht Geister», sagt Luca Maggi (Grüne), der die Kommission präsidiert. Man habe das Geschäft hoch gewichtet, schaffe Transparenz und beweise Respekt vor dem Stimmentscheid. So tritt die Weisung nur dann in Kraft, wenn der Gegenvorschlag angenommen werden sollte.
Auch die Stadt verteidigt ihre Abstimmungszeitung. Vernebelt werde nichts, sagt Claudia Naegeli, Sprecherin des Finanzdepartements. Die Situation sei aber kompliziert, weil sich die Initiative mit einer vom Gemeinderat überwiesenen Motion überschneide und diese die Umsetzung des Gegenvorschlags quasi vorwegnehme.
So kam es, dass die Abstimmungszeitung fertiggestellt werden musste, es aber noch unklar war, wie die Regeln für die wegfallenden Behördenmitglieder ausgestaltet werden sollten. Erwähnt werde die Vorlage allerdings.
Die SVP lanciert ihren Abstimmungskampf am kommenden Montag. Bereits jetzt ist klar: Egal, wie sich die Stimmenden am 3. März entscheiden werden, die Abgangsentschädigungen in der Stadt Zürich werden deutlich zurechtgestutzt.